Der Unterlassungsschuldner ist auch nach einstweiliger Verfügung zum Rückruf des Produkts bzw. zur Aufforderung an selbständige Abnehmer, die angegriffene Ausführungsform vorläufig nicht weiter zu vertreiben, verpflichtet
BGH BESCHLUSS I ZB 19/19 vom 17. Oktober 2019
in dem Zwangsvollstreckungsverfahren
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beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin wird der Beschluss des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 14. Februar 2019 (20 W 26/18) im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als da-rin zum Nachteil der Gläubigerin erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Entschei-dung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Be-schwerdegericht zurückverwiesen.
Streitwert der Rechtsbeschwerde: 4.000 €
Gründe:
I. Der Schuldnerin ist durch Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 2. August 2017 im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung von Ord-nungsmitteln untersagt worden, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wett-bewerbs das diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilan-zierte Diät) mit dem Namen „T. B. “ in den Verkehr zu bringen und/oder in den Verkehr bringen zu lassen und/oder zu bewerben und/oder bewerben zu lassen mit der Angabe „zur diätetischen Behandlung von Tinnitus, vor allem bei erniedrigtem Q10-Blutspiegel“, wenn dies geschieht wie in den im Urteil eingeblendeten Anlagen (Produktinformation, Kartonverpackung und Produktbehältnis). Dieses Urteil hat die Gläubigerin der Schuldnerin am 10. August 2017 zustellen lassen, die daraufhin
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eine Abschlusserklärung abgegeben und die genannte Entscheidung des Landge-richts als endgültige Regelung anerkannt hat.
Aufgrund von Testkäufen bei unterschiedlichen Apotheken erhielt die Gläubi-gerin am 17. und 21. August 2017 das Produkt „T. B. “ mit der untersagten Werbung als diätetisches Mittel zur Behandlung von Tinnitus geliefert.
Auf Antrag der Gläubigerin hat das Landgericht gegen die Schuldnerin we-gen Zuwiderhandlung gegen die Urteilsverfügung vom 2. August 2017 für den streitgegenständlichen Verstoß ein Ordnungsgeld in Höhe von 5.000 € festgesetzt. Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin hat insoweit zur Zurückweisung des Vollstreckungsantrags geführt (OLG Düsseldorf, GRUR 2019, 552 = WRP 2019, 637).
Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die Schuldnerin beantragt, erstrebt die Gläubigerin die Wiederher-stellung des landgerichtlichen Beschlusses.
II. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Schuldnerin sei weder zum Rückruf des Produkts noch zur Aufforderung an selbständige Abnehmer, die ange-griffene Ausführungsform vorläufig nicht weiter zu vertreiben, verpflichtet gewesen. Hierzu hat es ausgeführt:
Die Abnehmer des Produkts seien rechtlich selbständige Unternehmen, für deren Handeln die Schuldnerin nicht einzustehen habe. Nach Auslieferung habe die Schuldnerin keine Weisungs- oder Entscheidungsbefugnis über den Weitervertrieb durch ihre Abnehmer gehabt. Es liege keine Dauerverletzungshandlung vor, die durch schlichtes Unterlassen aufrechterhalten werde. Die durch die Belieferung der Abnehmer begründete Kausalität werde durch das eigenständige Handeln der Ab-nehmer unterbrochen. Der Unterlassungsanspruch könne nicht dieselben Rechts-folgen zeitigen wie der spezialgesetzlich, etwa in § 140a Abs. 3 PatG, normierte
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Rückrufanspruch. Die Durchsetzung eines etwaig auf Rückruf gerichteten Unterlas-sungsanspruchs im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes komme nicht in Be-tracht, weil andernfalls eine Vorwegnahme der Hauptsache durch sofortige Befrie-digung des Gläubigers drohe. Auch eine als Minus zum Rückrufanspruch anzuse-hende Pflicht, die Abnehmer aufzufordern, den Produktvertrieb vorläufig zu unter-lassen, sei nicht anzuerkennen, weil eine solche Aufforderung faktisch wie ein Rückruf wirke. Werde ein Unterlassungstenor in Richtung einer Pflicht zum Rückruf ausgelegt, verstoße dies gegen das auf die strafähnliche Unterlassungsvollstre-ckung anwendbare Erfordernis, dass der Schuldner dem Titel bereits entnehmen können müsse, wie er sich zu verhalten habe. Gebe der Schuldner nach Erlass ei-ner einstweiligen Verfügung eine Abschlusserklärung ab, sei zudem fraglich, welche Pflichten den Schuldner träfen. Sofern es bei der Pflicht zur Aufforderung an Ab-nehmer, das Produkt vorläufig nicht weiter zu vertreiben, als Minus zur Rückruf-pflicht bleibe, bestehe die Gefahr der Entwertung des Instruments der Abschlusser-klärung und der erhöhten Belastung der Gerichte, weil eine etwaige Rückrufpflicht in einem nachfolgenden Hauptsacheverfahren geltend gemacht werden könne.
III. Die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Fall 1, Abs. 3 Satz 2 ZPO) und auch ansonsten zulässig (§ 575 ZPO). In der Sache hat sie ebenfalls Erfolg. Mit der vom Beschwerdegericht gegebenen Begründung kann ein Verstoß der Schuldnerin gegen das ihr obliegen-de Unterlassungsgebot nicht verneint werden.
1. Handelt der Schuldner der Verpflichtung zuwider, eine Handlung zu unter-lassen, so ist er nach § 890 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 ZPO wegen einer jeden Zuwider-handlung auf Antrag des Gläubigers von dem Prozessgericht des ersten Rechtszu-ges zu einem Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben wer-den kann, zur Ordnungshaft oder zur Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu verur-teilen.
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2. Die allgemeinen Voraussetzungen für die Verhängung eines Ordnungs-geldes waren zur Zeit der von der Gläubigerin geltend gemachten Zuwiderhandlung der Schuldnerin gegen die Unterlassungsverpflichtung erfüllt.
a) Durch die Urteilsverfügung des Landgerichts vom 2. August 2017 ist der Schuldnerin eine Verpflichtung zur Unterlassung einer Handlung im Sinne von § 890 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 ZPO auferlegt worden.
b) Die nach § 890 Abs. 2 ZPO vor der Verhängung eines Ordnungsmittels er-forderliche Androhung von Ordnungsmitteln war in der Urteilsverfügung vom 2. August 2017 enthalten.
c) Die Urteilsverfügung vom 2. August 2017 war mit Verkündung des Urteils und damit zur Zeit der geltend gemachten Zuwiderhandlung unbedingt vollstreckbar und von der Schuldnerin zu beachten (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2009 I ZB 115/07, BGHZ 180, 72). Eines Ausspruchs der Vollstreckbarkeit bedarf es im Verfahren der einstweiligen Verfügung nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2017 – I ZB 96/16, GRUR 2018, 292 Rn. 14 = WRP 2018, 473 mwN).
d) Die Gläubigerin hat die Urteilsverfügung vom 2. August 2017 der Schuld-nerin am 10. August 2017 zustellen lassen.
3. Der Annahme des Beschwerdegerichts, die Schuldnerin habe nicht gegen die einstweilige Verfügung verstoßen, liegt ein falscher rechtlicher Maßstab zugrun-de. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt ein solcher Verstoß in Betracht, sofern die Schuldnerin es im Zeitraum zwischen der Verkündung der Ur-teilsverfügung und den durch die Gläubigerin veranlassten Testkäufen unterlassen hat, diejenigen rechtsverletzend gekennzeichneten und aufgemachten Produkte, die sie vor Erlass der einstweiligen Verfügung an ihre Abnehmer ausgeliefert hatte, entweder zurückzurufen oder die Abnehmer der Produkte immerhin aufzufordern,
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diese im Hinblick auf die ergangene einstweilige Verfügung vorläufig nicht weiterzu-vertreiben.
a) Nach der Rechtsprechung des Senats verpflichtet das in einem Unterlas-sungstitel enthaltene Verbot den Schuldner außer zum Unterlassen weiterer Ver-triebshandlungen auch dazu, aktiv Maßnahmen zu ergreifen, die den Weitervertrieb der rechtsverletzend aufgemachten Produkte verhindern. Diese Handlungspflicht des Schuldners beschränkt sich allerdings darauf, im Rahmen des Möglichen, Er-forderlichen und Zumutbaren auf Dritte einzuwirken. Zudem gelten bei der Vollzie-hung einer einstweiligen Verfügung im Unterschied zur Vollstreckung eines Titels aus einem Hauptsacheverfahren Beschränkungen, die sich aus der Eigenart des Verfügungsverfahrens und aus den engen Voraussetzungen für die Vorwegnahme der Hauptsache sowie aus den im Verfügungsverfahren eingeschränkten Verteidi-gungsmöglichkeiten des Antragsgegners ergeben (zu allem ausführlich BGH, GRUR 2018, 292 Rn. 17 ff.).
b) Die vom Beschwerdegericht ausgeführten Einwände veranlassen den Se-nat nicht, von dieser Rechtsauffassung abzuweichen.
aa) Ist der Schuldner nach dem Ergebnis der Auslegung des Unterlassungs-titels verpflichtet, durch positives Tun Maßnahmen zur Beseitigung des fortdauern-den Störungszustands zu ergreifen und dabei auf Dritte einzuwirken, kommt es nicht darauf an, ob er entsprechende Ansprüche gegen die in Betracht kommenden Dritten hat. Der Schuldner eines Unterlassungsanspruchs hat zwar nicht für das selbständige Handeln Dritter einzustehen. Das entbindet ihn im Rahmen seiner durch Auslegung ermittelten positiven Handlungspflicht aber nicht davon, auf Dritte einzuwirken, deren Handeln ihm wirtschaftlich zugutekommt und bei denen er mit gegebenenfalls weiteren – Verstößen ernstlich rechnen muss. Der Schuldner ist da-her verpflichtet, im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren auf solche Personen einzuwirken. Mit Blick auf seine Einwirkungsmöglichkeiten auf Dritte kommt es nur darauf an, ob der Schuldner rechtliche oder tatsächliche Einflussmöglichkeiten auf
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das Verhalten Dritter hat. Es reicht daher aus, wenn ihm eine tatsächliche Einwir-kung möglich ist (vgl. BGH, GRUR 2018, 292 Rn. 25).
bb) Die spezialgesetzlich vorgesehenen Rückrufansprüche des Immaterial-güterrechts stehen – entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts – der Annahme von Beseitigungspflichten im Rahmen der Unterlassungshaftung nicht entgegen, weil diese in Umsetzung der Richtlinie 2004/48/EG ergangenen Vorschriften keinen Vorrang vor anderen Vorschriften beanspruchen (vgl. BGH, GRUR 2018, 292 Rn. 29). Im vorliegend betroffenen Fall einer lauterkeitsrechtlichen Unterlassungs-pflicht kommt eine Sperrwirkung schon deshalb nicht in Betracht, weil es an einer solchen speziellen Regelung fehlt.
cc) Dem Bedenken, die Geltendmachung einer Rückrufpflicht könne im Ver-fahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu einer unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache führen, trägt der Senat Rechnung, indem er den Schuldner ggf. ledig-lich für verpflichtet hält, Maßnahmen zu treffen, die die Abwehransprüche des Gläubigers sichern, ohne ihn in diesen Ansprüchen abschließend zu befriedigen. Hierzu zählt die Aufforderung an die Abnehmer, die erhaltenen Waren im Hinblick auf die einstweilige Verfügung vorläufig nicht weiterzuvertreiben (vgl. BGH, GRUR 2018, 292 Rn. 37 bis 39).
dd) Die Annahme einer positiven Handlungspflicht aufgrund des Unterlas-sungsgebots verstößt – entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts – nicht gegen das in Art. 103 Abs. 2 GG geregelte Bestimmtheitsgebot (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Mai 1991 – 2 BvR 1654/90, juris; BVerfG, GRUR 2007, 618, 619 [juris Rn. 16 bis 22]; BGH, GRUR 2018, 292 Rn. 24 mwN).
ee) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts begründet die Annahme einer Pflicht zum Rückruf oder zur Aufforderung der Abnehmer, nicht weiterzuvertreiben, nicht die Besorgnis einer Entwertung des Abschlussverfahrens oder einer gesteigerten Inanspruchnahme der Gerichte. Beschränkt sich die Pflicht
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des Schuldners auf eine solche Aufforderung, weil andernfalls im Eilverfahren eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache vorläge, kann der Gläubiger eine wei-tergehende Verpflichtung zum Rückruf allein im Hauptsacheverfahren erlangen, sofern sich der Schuldner nicht entsprechend strafbewehrt verpflichtet. Nimmt man mit dem Beschwerdegericht an, von der Pflicht zur Unterlassung sei keinerlei Besei-tigungshandlung umfasst, so muss der Gläubiger hierfür auch dann gesonderte ge-richtliche Hilfe in Anspruch nehmen, wenn eine Abschlusserklärung abgegeben wurde.
c) Zur Frage, ob die Schuldnerin im Zeitraum zwischen der Verkündung der Urteilsverfügung und den durch die Gläubigerin veranlassten Testkäufen einen Rückruf oder auch nur eine Aufforderung, nicht weiterzuvertreiben, an ihre Abneh-mer gerichtet hat, hat das Beschwerdegericht – von seinem Standpunkt aus folge-richtig – keine Feststellungen getroffen. Darüber hinaus fehlt es an Feststellungen zum Verschulden der Schuldnerin, zur Höhe des wegen des Verstoßes gegen die Schuldnerin festzusetzenden Ordnungsgeldes und zur Dauer der deswegen er-satzweise festzusetzenden Ordnungshaft.
IV. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht veranlasst (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 C283/81, Slg. 1982, 3415 Rn. 21 = NJW 1983, 1257 – C.I.L.F.I.T. u.a.; Urteil vom 1. Oktober 2015 C-452/14, GRUR Int. 2015, 1152 Rn. 43 – Doc Generici, mwN). Im Streitfall stellt sich keine entscheidungserhebliche Frage zur Auslegung des Uni-onsrechts, die nicht bereits durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs geklärt oder nicht zweifelsfrei zu beantworten ist. Es unterliegt keinen unionsrechtlichen Zwei-feln, dass die Annahme von Handlungspflichten im Rahmen des nach Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 und 2 der Richtlinie 2005/29/EG vorzusehenden Unterlassungsan-spruchs ein geeignetes und wirksames Mittel zur Bekämpfung unlauterer Ge-schäftspraktiken im Sinne des Art. 11 Abs. 1 dieser Richtlinie sowie eine wirksame,
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verhältnismäßige und abschreckende Sanktion im Sinne des Art. 13 Satz 2 dieser Richtlinie darstellt.
V. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif und deshalb an das Be-schwerdegericht zurückzuverweisen.